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Tabu-Talk: Demenz geht uns alle an

Seit ich für die Alzheimer Gesellschaft Rheinland-Pfalz e.V. als Projektmanagerin der Schulungsinitiative tätig bin, fällt mir auf, dass in unserer Gesellschaft kaum bis gar nicht über „Demenz“ gesprochen wird. Dabei ist es so wichtig, dem Thema eine Normalität zu geben, damit sowohl Betroffene als auch deren pflegende Angehörige eine Entlastung erfahren. Deshalb folge ich sehr gerne Generoses Aufruf zu einer Blog-Parade: TABU-Talk: Über dieses Tabu möchte ich endlich offen reden!

Demenz geht uns alle an!

Demenz ist ein Thema, das uns alle angeht – wir werden immer häufiger auf Menschen mit Demenz treffen und viele wissen nicht, wie sie mit Betroffenen umgehen sollen. Dadurch ziehen sich Betroffene und nicht selten auch die pflegenden Angehörigen in die Isolation zurück, was sehr kontraproduktiv ist.

Zum Ende des Jahres 2021 lebten in Deutschland fast 1,8 Millionen Menschen mit Demenz. Häufigste Demenzursache ist die Alzheimererkrankung. Im Jahr 2021 sind etwa 440.000 Menschen im Alter 65+ neu an einer Demenz erkrankt. Infolge des demografischen Wandels nimmt die Anzahl der Betroffenen weiter zu. Gelingt kein Durchbruch in Prävention oder Therapie, könnten nach aktuellen Schätzungen in Deutschland im Jahr 2050 bis zu 2,8 Millionen Menschen im Alter 65+ erkrankt sein.
Wolfsfrau Jahreszeitenbaum
Quelle: Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V.

Meine persönlichen Erfahrungen mit Demenz

Zu der Zeit, als meine Mutter von Demenz betroffen war, versuchten wir Angehörigen eine Anlaufstelle zu finden, die uns Informationen und Hilfestellung gibt, wie mit Betroffenen umzugehen ist, wie sich das Krankheitsbild zeigt und welche Auswirkungen es auf das Umfeld hat. Leider Fehlanzeige, wir fanden nichts und niemanden. Zum Glück war mein Vater ein sehr empathischer Mensch und hat mit einer wunderbaren Art meine Mutter sehr liebevoll begleitet.

Das hat mir eine zweite Sicht auf den Umgang mit Demenzerkrankten gelehrt – kannte ich bis dato nur den Umgang, den meine Mutter mit meiner Oma hatte. Auch diese war nach einem Schlaganfall von Demenz betroffen und wurde bis zu ihrem Tod von meinen Eltern (im Schwerpunkt durch meine Mutter) betreut. Ich weiß nicht, ob es an den verschiedenen Generationen lag, doch bei der Betreuung meiner Oma lagen bei meiner Mutter sehr häufig die Nerven blank und aus Außenstehende (ich wohnte damals schon nicht mehr zu Hause) war ich manches Mal erschrocken, ob der harschen Art. Doch inzwischen weiß ich, dass pflegende Angehörige, die sich 24/7 um Betroffene kümmern, auf die Dauer ihr Los nur schwer ertragen können.

Was ist Demenz und wie zeigt sie sich

Bei einer Demenz bauen sich Hirngewebe und Nervenzellen ab. Das kann unter anderem durch Durchblutungsstörungen im Gehirn, durch Bildung von Plaques an den Nervenenden oder durch Einschlüsse in Nervenzellen des Gehirns entstehen. Häufig startet bei Menschen mit einer beginnenden Demenz der Verlauf mit einer Vergesslichkeit, die über die „normale Schusseligkeit“ hinausgeht. Es können sich Orientierungslosigkeit und Verwirrtheit dazugesellen. Die Alltagsfähigkeit wird eingeschränkt und eine Veränderung von Verhalten und Persönlichkeit kann damit einhergehen. Es gibt bei einer Demenz keinen Regelverlauf, es kann sich bei jedem Betroffenen anders zeigen und zeitlich sehr unterschiedlich verlaufen.

(Für mehr fachliche Informationen schau gerne hier)

Welche Auswirkung hat die Erkrankung auf Betroffene und ihr Umfeld?

Betroffene merken anfangs, dass etwas nicht mit ihnen stimmt, die Vergesslichkeit über das normale hinaus geht. Das macht Angst und wird häufig erst einmal verleugnet. Dadurch kommt es in der Familie öfter zu Konflikten und Streit. „Ich habe dir erst gestern gesagt, dass wir heute einen Termin haben – so vergesslich kannst du doch nicht sein!„. Der Prozess ist schleichend und wird wahrscheinlich anfangs von keinem direkt als Demenz „diagnostiziert“ – schließlich vergisst jeder schon mal was, oder? Betroffene fangen dann sehr früh an, sich Techniken und Abwehrhaltungen zuzulegen, die ihre Defizite verschleiern. Speziell im Freundes- und Bekanntenkreis kann so eine Normalität aufrechterhalten werden, das keiner auf die Idee käme, dass eine Demenz dahinter steckt.

Manchmal zweifele ich an meinem eigenen Verstand“ so die Schilderungen von pflegenden Angehörigen, die zu Hause die Verwirrtheit erleben, während das Umfeld sagt: „Ich weiß gar nicht, was du hast, ich kann mich ganz normal mit ihm/ihr unterhalten. Meinst du nicht, du übertreibst etwas?

Wann wird "Demenz" zu einem Tabu-Thema?

Oft wollen Betroffene nicht, dass ihre Erkrankung im Freundes- und Bekanntenkreis thematisiert wird. Das ist auf der einen Seite nachvollziehbar auf der anderen Seite ist es absolut kontraproduktiv:

Wir waren ein langjähriger Freundeskreis von 4 Paaren, die im Verlaufe der Jahre wunderschöne Reisen, Erlebnisse und Treffen hatten. Das änderte sich, als zwei Frauen im Kreis begannen, sich zu verändern. Sie wurden wunderlich und seltsam, sodass wir anderen nicht mehr viel mit ihnen anfangen konnten. Daraufhin zogen sich die beiden Frauen immer mehr zurück und ihre Männer gleich mit. Das ging so weit, dass kaum mehr Kontakt vorhanden war. Erst sehr spät kam das Thema Demenz zur Sprache – da war der Freundeskreis bereits auseinander gefallen“.

Die Dame entschloss sich, mehr über das Thema Demenz zu erfahren und meldete sich bei einer Schulungsreihe Hilfe beim Helfen an. Im Verlauf der sieben Module war sie einige Male erschüttert und traurig. Sie sagte: „Hätte ich früher gewusst, was Demenz ist, welche Auswirkung es hat und wie ich mit Betroffenen umgehen kann, würde unser Freundeskreis noch bestehen.“

Was macht es mit den pflegenden Angehörigen?

Durch die Verschleierung der Erkrankung ziehen sich Betroffene immer mehr in die Isolation zurück. Pflegende Angehörige befinden sich in einem Loyalitätskonflikt, denn sie möchten den Betroffenen nicht „verraten“ und schweigen über die Erkrankung. Dadurch werden die sozialen Kontakte immer weniger, bis beide in der Isolation sind und der pflegende Angehörige 24/7 für den Erkrankten da ist. Das ist eine enorme Belastung! Schließlich sind sie die wichtigste Bezugsperson, organisieren und koordinieren Unterstützung, sind Partner für die Diagnose und Behandlung. Gleichzeitig haben sie oft auch eigene Familien, eventuell minderjährige Kinder, berufliche Verpflichtungen oder eigene gesundheitliche Einschränkungen.

Was kommt auf uns zu?

Die Zahl der Betroffenen wird voraussichtlich zunehmen, Untersuchungen zeigen auch, dass inzwischen immer jüngere Menschen von Demenz betroffen sind. Das Umfeld, das mit den Betroffenen zu tun hat, merkt häufig nur, das etwas nicht stimmt. Die Betroffenen selbst überspielen und verschleiern zu Beginn der Krankheit ihre Defizite und ziehen sich mit der Zeit immer mehr in die Isolation zurück, da es sie zu sehr anstrengt, ihre Erkrankung zu tarnen. Pflegenden Angehörigen bleibt dann häufig nichts anderes übrig, als mit in die Isolation zu gehen, da sie den Betroffenen nicht mehr alleine lassen wollen oder können.

Was wünsche ich mir von der Gesellschaft?

Ich wünsche mir, dass in der Gesellschaft offener mit dem Thema „Demenz“ umgegangen wird, das es nicht mehr als „Makel“ gesehen wird, dass sich so viele wie möglich über das Thema informieren und wissen, wie sie mit Betroffenen in der Öffentlichkeit umgehen. Dadurch könnten sie Angehörige mehr und besser unterstützen. Das würde für die pflegenden Angehörigen eine enorme Entlastung sein und die Betroffenen erlebten so lange wie möglich einen normalen Alltag.

Wie ich zur Alzheimer Gesellschaft Rheinland-Pfalz e.V. kam

Als ich im Jahr 2021 über eine Stellenanzeige von der Alzheimer Gesellschaft Rheinland-Pfalz e.V. stolperte, die eine Projektleitung für ihre Schulungsinitiative suchte, war mir direkt klar, dass ich Kontakt aufnehmen würde. Meine beruflichen Voraussetzungen waren perfekt und so bin ich seit Sommer 2021 dafür zuständig, in ganz Rheinland-Pfalz Vorträge und Schulungsreihen für pflegende Angehörige zu planen und organisieren. Dadurch leiste ich einen wichtigen Beitrag zur Enttabuisierung des Themas Demenz. Vielen Dank, Generose, für die Möglichkeit, das Thema aufzugreifen!

Wenn du dich über das Thema „Demenz“ informieren möchtest und in Rheinland-Pfalz lebst, dann schau hier nach.
Wenn du dich ehrenamtlich für das Thema „Demenz“ stark machen möchtest, dann schreibe mir: anette.krumhaar(at)alzheimer-gesellschaft-rhpf.de

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Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Generose Sehr

    Liebe Anette, danke dir für diesen wertvollen Artikel. Ich erlebe es selbst seit einigen Jahren in meinem Umfeld, was Demenz mit Menschen und deren pflegenden Angehörigen macht. Es wäre so schön, wenn Aufklärung und Hilfe früher leichter zugänglich wäre.
    Aus meiner Sicht wäre es noch viel hilfreicher, wenn es in unserer Gesellschaft mehr Bewusstsein über die Präventionsmöglichkeiten (Stichwort Epigenetik) gäbe.

    Danke für deine Arbeit und dein Aufklären!!

    Alles Liebe, Generose

    1. Anette

      Lieben Dank, Generose, für deinen Kommentar!
      Tatsächlich beschäftigt sich ein Team in der Alzheimer Gesellschaft Rheinland-Pfalz e.V. mit den Fragen der Prävention. Daraus entstanden ist ein Projekt „Demenz vorbeugen – Jetzt mitmachen!“. Darin erfährst du mehr über die Risikofaktoren und Möglichkeiten der Vorbeugung einer Demenzerkrankung und über das Programm zur Vorbeugung einer Alzheimer-Demenz. Doch wir bräuchten mehr Manpower, Geldmittel und freie Ressourcen, um auch da noch mehr zu tun. Wir bleiben dran und geben unser Bestes!
      Ich danke dir für die Möglichkeit, das Thema in deiner Blogparade anzusprechen und wünsche dir viel Erfolg mit allen Beiträgen!
      Lieben Grüße, Anette

      1. Ilka

        Liebe Annette,
        meine Eltern haben sogar vor uns erwachsenen Kindern lange verheimlicht, dass unser Vater eine Demenz-Diagnose hatte. Der Grund: Er wollte partout nicht in ein Heim. Diese Tabuisierung der Demenz meines Vaters macht mich immer noch traurig.
        Deswegen finde ich deine Arbeit und deinen Wunsch nach mehr Aufklärung so wichtig! Vielen Dank dafür.

        Alles Gute
        Ilka

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